Als Leiter eines Transplantationsprogramms für Blutkrebspatienten an einer Uniklinik kennt Prof. Dr. Christoph Scheid die Sorgen und Ängste von Patienten ganz genau. Im Interview erklärt er uns, welche Form der Unterstützung am effektivsten ist und worauf sich Patienten besonders einstellen müssen.
Herr Professor Scheid, wenn ein Patient zu Ihnen kommt, der eine Stammzelltransplantation benötigt, was ist dann im ersten Gespräch besonders wichtig?
Ich führe jeden Tag solche Gespräche mit Patienten und versuche ihnen zu erklären, dass wir keine kurzfristige Behandlung, sondern eine lebenslange Therapie planen. Wir bringen ja ein neues aktives Immunsystem in den Patienten, das die Leukämiezellen lebenslang angreifen soll. Das zeigt schon die Dimension des Ganzen. Ich muss dem Patienten klarmachen: Wenn wir ihm ein neues Knochenmark, neue Stammzellen geben, wird er sich verändern, es wird ein neues Immunsystem anwachsen, das ihn hoffentlich lebenslang vor einem Rückfall schützt. Das ist eine große Herausforderung und jedem muss klar sein: Ich brauche einen langen Atem dafür.
Mit welchen Ängsten und Sorgen kommen die Patienten zu Ihnen?
Angst spielt eine ganz große Rolle. Für die meisten Patienten ist die Diagnose oft schon ein Stück verarbeitet und sie haben mitunter bereits Chemotherapien durchlaufen. Der erste Schock ist dann vielleicht schon vorbei. Für Patienten, die sich noch nicht an das Thema Erkrankung und Therapien gewöhnen konnten, ist es viel schwieriger. Weil alles auf einmal kommt: die Erkrankung und die Therapie – dann müssen sie sich auf zwei Gefahren einstellen. Oft erleben sie die Transplantation als etwas Bedrohliches – wie die nächste Gefahr, die auf sie zukommt, wo sie doch gerade erst die Erkrankung akzeptieren mussten. Da versuche ich mit meinem gesamten Team, an der Angst zu arbeiten.
Es existiert also eine konkrete Angst vor der Transplantation?
Ja, ich erkläre dann, dass die Erkrankung das eigentlich Gefährliche ist und dass es unsere erste Sorge als Ärzte ist, diese aggressive Erkrankung vor uns zu haben. Manchmal erscheint mir dann die Angst vor der Therapie im vergleich überbewertet, und ich versuche, den Kampfgeist zu motivieren, eher gegen die Leukämie zu kämpfen und nicht gegen die Therapie.
Wie machen Sie das?
Wir haben ein ganzes Programm entwickelt, um die Patienten zum Tag null hinzuführen, also dem Tag der Transplantation. Wir haben Koordinatoren, die mit den Patienten und Angehörigen sprechen. Das sind erfahrene KMT-Schwestern und -Pfleger, die eine sehr aktive Rolle in der Patientenvorbereitung haben. Sie lotsen die Patienten durch den Prozess der Voruntersuchungen, sie machen Stationsbesichtigungen mit ihnen und den Angehörigen, damit sie die Zimmer vorher sehen und andere Patienten kennenlernen – alles, um die Schwellenangst zu reduzieren und allgemeine Fragen zu klären.
Wie komplex und risikoreich ist das Verfahren einer Stammzelltransplantation für den Patienten?
Es sind in der Regel nicht mehr Therapien, die an die Grenze des Möglichen gehen – und von dort kommen wir ja ursprünglich. Wir geben heute vielen Patienten eine dosisreduzierte Chemotherapie vor der Transplantation. Das hat sich im Vergleich zu früher durchgehend gewandelt. Nur in wenigen Sonderfällen geben wir noch eine maximale Dosis. Auch Bestrahlungen haben wir hier bei uns stark zurückgefahren. Nur wenige Patienten bekommen überhaupt noch eine Ganzkörperbestrahlung und dann oft mit geringerer Strahlendosis. Und auch wenn wir sehr intensive Chemotherapien geben, hat sich die Verträglichkeit deutlich verbessert. Die Konditionierungsbehandlung vor einer Transplantation ist also insgesamt sehr viel moderater geworden. Viele Patienten haben ja gerade davor Angst, aber wir können da entwarnen. Und wir passen auch genau auf die Patienten auf, deshalb gibt es spezielle Stationen hierfür.
Wie sieht der stationäre Bereich bei Ihnen aus?
Wir haben die ganze Station komplett isoliert und mit eigener Klimaanlage und besonderen Luftfiltern ausgerüstet, damit sich die Patienten innerhalb der Station frei bewegen können, bis hin zu einem kleinem Aufenthalts- und Sportbereich. Wir wollen die Patienten in Bewegung und Aktion halten und nicht, dass sie sich „ans Bett gefesselt“ fühlen. Wir bemühen uns sehr, sie aktiv zu halten und auch zu motivieren, weiter zu essen, um nicht auf künstliche Ernährung zurückgreifen zu müssen.
Wie läuft die eigentliche Transplantation dann ab?
Im Verlauf der stationären Therapie gibt es zunächst gar nicht so große Besonderheiten. Viele Patienten kennen normale Chemotherapien schon, sodass die Therapie gar nicht so anders als die vorhergehende ist. Die Stammzellgabe ist eine Infusion von Stammzellen, eigentlich eher eine Transfusion, und damit auch an sich nichts Besonderes. Die Medikamente zur Immunsuppression werden zum Beispiel bei Rheuma seit Jahrzehnten eingesetzt und sind bekannt.
Bevor die Patienten stationär aufgenommen werden: Wie schwierig ist es, über eine lebensbedrohliche Krankheit aufzuklären und auch unangenehme Fakten mitzuteilen?
Ich versuche immer, sehr offen zu sprechen und Chancen und Risiken möglichst klar zu benennen. Erst einmal gibt es ein Auftaktgespräch, damit die Patienten uns kennenlernen und sich an die Personen gewöhnen können. Das eigentliche Aufklärungsgespräch sollte am Ende einer Kette von Gesprächen stehen. Es findet bei uns erst statt, wenn die Patienten bereits mit dem Psychologen gesprochen haben, mit den Koordinatoren und möglichst auch mehrfach Gespräche mit uns Ärzten hatten. Das ist dann so eine Art Bilanz, ein Gesamtbild. Dann müssen noch einmal alle Risiken aufgeführt werden, um dem Patienten ein weiteres Mal die Chance geben zu können, auch Nein zu sagen. Solche Gespräche sind immer sehr anstrengend für alle Beteiligten. Bis dahin haben wir aber hoffentlich eine gute Beziehung aufgebaut, damit so ein Gespräch in einer vertrauten Atmosphäre stattfinden kann. Wenn wir über schlimme Fakten sprechen, auch über das Risiko, zu sterben, dann muss das in einem unterstützenden, vertrauten Setting geschehen. Das ist jedes Mal eine große Herausforderung.
Wie viel Wissen ist denn von den Patienten gewünscht?
Es gibt welche, die vertiefende Fragen stellen, andere sagen: „Danke, das reicht mir schon.“ Das hängt auch davon ab, wie knapp die Entscheidung für oder gegen eine Transplantation ist. Wenn ein Patient eine hochaggressive Leukämie hat und die Transplantation die einzige kurative Option ist, kann das Gespräch anders geführt werden, als wenn es mehrere ähnliche Optionen gibt. Dann muss man als Patient genügend Informationen bekommen, um abwägen zu können. Keiner kommt umhin, das gesamte Risikopaket einer Transplantation zu benennen, insbesondere auch die akuten und chronischen Abstoßungsreaktionen und wie diese sich auf die Lebensqualität auswirken können. All das müssen wir erläutern, damit der Patient wirksam einwilligen kann. Wir müssen es aber auch schaffen, dass der Patient davor und danach nicht mit diesen ganzen harten Fakten alleingelassen wird. Wir wollen daher, dass Angehörige bei diesen Gesprächen dabei sind, denn es ist wichtig, dass sie mithören und hinterher diskutieren können und dass der Patient danach nicht alleine ist, sondern begleitet wird.
Arbeiten Sie mit Psychoonkologen zusammen?
Ja, wir arbeiten hier in Köln sehr intensiv mit Haus Lebenswert zusammen und haben außerdem eine Psychologin fest im Team, die immer ein Vorgespräch führt. Das haben wir vor vielen Jahren eingeführt und legen großen Wert darauf. Für die Patienten ist es hilfreich, sich zu fokussieren und zu sehen, wo ist mein sozialer Support, wer ist um mich herum, dem ich vertrauen kann und der mir Hilfestellung gibt. Es sind auch Seelsorger und Sozialarbeiter mit bei uns im Team. Gemeinsam haben wir Patienten- und Angehörigengruppen ins Leben gerufen. Das ist ein wichtiger Punkt, weil eine Transplantation ein langes, lebensbegleitendes Thema ist.
Stichwort Erkrankung als lebensbegleitendes Thema: Wie bereiten Sie Patienten und ihre Angehörigen auf die Zeit nach der Transplantation vor?
Die allermeisten Patienten können erst einmal erfolgreich transplantiert und entlassen werden. Trotzdem: Wenn i ich auf die zwei, drei Jahre danach schaue, gibt es noch erhebliche Risiken. Einmal durch einen möglichen Rückfall der Erkrankung und dann durch das Risiko für schwere Abstoßungen und Infektionen, die oft gemeinsam auftreten. Viele kommen und sagen: Entweder sterbe ich oder ich bin danach geheilt. Und dann muss ich sagen: Vorsicht, dazwischen gibt es diesen Bereich, den wir ganz realistisch besprechen müssen. Was ist, wenn ich die Leukämie überwunden habe, aber mit chronischen Abstoßungen leben muss, vielleicht mit trockenen Augen, mit Schleimhautentzündungen, Hautveränderungen oder chronischen Durchfällen? Das sind Dinge, die man beim Entschluss zur Transplantation bedenken muss. Es ist wichtig, die Patienten darauf vorzubereiten, dass sie nicht als geheilt entlassen sind, sondern zunächst eine erste Hürde genommen haben, danach aber Jahre durchlaufen müssen, in denen noch viele Dinge passieren können.
Kann dann eine positive Lebenseinstellung begünstigend wirken?
Definitiv. Wenn ich zum Beispiel als Patient immer müde bin, dann muss ich mich bewegen, weil es das wirksamste Medikament gegen Müdigkeit ist. Wir haben dazu Unterstützung durch unsere Krankengymnasten und Sporttherapeuten. Wer aber diesen Antrieb nicht entwickeln kann, etwas zu machen, der hat es schwer. Eine optimistische Grundhaltung, soziale Unterstützung, Familie, eine Beziehung – das sind große Plusfaktoren, die wir mit heranziehen. Wo das nicht vorhanden ist, wird es oft schwierig.
Haben junge Patienten oft besondere psychosoziale Belastungen?
Vielleicht ein wenig mehr die Angst um Job und Ausbildung. Ich hatte gerade den Fall auf Station, da steckte jemand mitten im Studium und fragte mich: Kann ich diese Prüfung noch machen? Ich habe dann gesagt: Machen Sie sie, dann ist das Thema abgehakt. Aber natürlich haben wir auch über das Risiko gesprochen, dass die Leukämie nicht unbedingt auf diese Prüfung wartet. Der Patient hat dann noch mal nachgedacht und die Prüfung verschoben, um sich zunächst schnell transplantieren zu lassen. Das ist immer ein intensiver Austausch mit den Patienten, ein Geben und Nehmen. Ich versuche immer, ein wenig den Druck rauszunehmen und aufzuzeigen, wo die Medizin ein bisschen elastisch sein kann. Wenn ich dem Patienten Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten eröffne und ihm zeige, dass ich ihn nicht bevormunden möchte, dann erlebe ich ganz oft, dass sich die Patienten von sich aus für die medizinischen Aspekte entscheiden. Und was ihnen eben noch im Alltag so wichtig vorkam, ist dann vielleicht doch nicht mehr so wichtig.
Ein interessanter Ansatz…
Ja, das führt hin zu unserem ganzen Konzept, den Patienten zu ertüchtigen, ihn zu einem autonomen Patienten zu machen, der natürlich während der Behandlung in große Abhängigkeit gerät. Aber wir versuchen, diese Abhängigkeit möglichst klein zu halten.
Wie werden die Patienten nach der Transplantation weiterbetreut?
Das Davor und Danach ist unglaublich wichtig. Wir machen eine lebenslange Nachsorge in der Ambulanz, da legen wir großen Wert drauf. Wir haben Krankenschwestern und –pfleger auf Station, die die Patienten nach der Entlassung zu Hause besuchen. Das nennt sich „KMT-Care“. Es ist unglaublich interessant, zu beobachten, wie die Patienten wieder im Alltag ankommen und was für Probleme dann plötzlich auftauchen können. Wenn wir merken, dass bestimmte Regeln für Patienten schwierig einzuhalten sind, versuchen wir, Freiräume auszuloten, und arbeiten an Kompromissen. Auch hier das Stichwort „elastische Medizin“. Das war eine große Lernerfahrung, weil wir früher dachten, wir müssen immer ganz dogmatisch sein. Aber viele Patienten machen das viel zu streng und erlegen sich da zum Beispiel in Hinblick auf Hygiene und Ernährung Regeln auf, die wir gar nicht so gemeint hatten.
Gibt es einen Tipp, den Sie allen Ihren Patienten bei der Entlassung mit auf den Weg geben?
Es geht in der Nachsorge oft darum, das richtige Maß zu finden. Das ist schwierig, aber wer versucht, wieder wie vorher zu sein, der scheitert. Das wird nicht funktionieren. Es ist wichtig, das im Blick zu haben und nicht so zu tun, als sei nichts gewesen, sondern das realistisch zu planen. Ein schwieriger Mittelweg, den man finden muss, zwischen „Ich bin ja krank und darf garnichts“ und „Jetzt bin ich gesund und mache ich wieder alles wie vorher“. Ich habe auch Patienten, die vor vielen Jahren transplantiert worden sind und denen die Familie sagt: Jetzt muss es aber doch mal gut sein, jetzt musst du auch mal wieder als normales Familienmitglied funktionieren. Diese Patienten sind aber oft nicht so belastbar wie früher, haben eine chronische Abstoßung oder ein Fatigue-Syndrom. Ich bin sehr beeindruckt, wenn diese Patienten dann das Beste daraus machen und Dinge ändern – zum Beispiel ihre Arbeitszeit beschränken, einen Mittagsschlaf machen, Sport treiben. Das sind tolle Überlebenskünstler, die wirklich viel leisten! Diese Dinge versuchen wir daher schon in der Vorbereitung, spätestens aber bei der Entlassung den Patienten und ihren Angehörigen klarzumachen.
Vielen Dank für das Interview!