Kindern mit ernsten Themen zu konfrontieren ist eine Herausforderung, aus aber viel Hoffnung entstehen kann. Man kann nicht alles erklären, aber man kann Ansätze finden, Türen öffnen, Dinge ansprechen und damit letztlich Ängste nehmen, beschreibt es Journalistin Mara Pfeiffer in ihrem Blogbeitrag.
Es gibt diesen Spruch: Be who you needed when you were younger. Wie viele Zitate im Internet findet man verschiedene Quellen dazu und ich vermag nicht zu sagen, von wem das im Original stammt. Aber die Person zu sein, die man brauchte, als man jünger war, ist auch beim Schreiben für Kinder eine Hilfe, finde ich. Es ist ohnehin ein guter Ansatz, sich zurückzuversetzen in die Zeit, als man selbst Kind war – und unglaublich viele Fragen hatte. Wir alle erinnern uns sicher, dass damals nichts so nervig war wie die Antwort, man sei dafür noch zu klein.
Bei einem Workshop zum Thema Schreiben für Kinder erklärte die Leiterin uns Teilnehmern vor vielen Jahren, die entscheidende Frage sei nicht was, sondern wie. Will heißen, man kann Kindern als Journalist grundsätzlich jedes Thema anbieten. Entscheidend ist aber, wie man es umsetzt. Das passt zu der eigenen Kindheitserinnerung, alles ganz genau wissen zu wollen, egal was die Großen meinen. Und daran habe ich mich seither eigentlich immer gehalten.
Der Hinweis der Kollegin zeigt natürlich, dass es viel Ermessensspielraum gibt, wenn es gilt, Themen für Kinder journalistisch aufzubereiten. Andererseits gehört das ohnehin zum Beruf: Blattmacher entscheiden, welche Themen sie wie fahren, Lokalchefs, welche Termine besetzt werden – und jeder Journalist überlegt sich immer wieder aufs Neue die Art und Weise, in der er einen bestimmten Inhalt erarbeitet. Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, für wen der jeweils gedacht ist: Das gilt nicht nur beim Schreiben für Kinder.
Wenn mein elfjähriger Neffe mir eine Frage stellt, beantworte ich ihm die heute anders, als ich es vor ein paar Jahren getan habe. Befragt er mich zu demselben Thema mit fünfzehn wieder, fällt meine Antwort erneut anders aus. Nicht inhaltlich, sondern in der Art und Weise, wie ich ihm das Thema erläutere. Natürlich kommen mit zunehmendem Alter auch mehr Details dazu – und ja, auch mal Dinge, vor denen ich ihn noch schützen wollte, als er jünger war. Im Alltag regeln wir solche Anforderungen mit Kindern oft intuitiv. Es kann helfen, sich diese Intuition auch im journalistischen Umgang mit ihnen zu bewahren.
Wie hat Opa den Weg in den Himmel gefunden? Warum gibt es Krieg? Warum zünden Leute Bomben an ihrem Körper? Wieso müssen Kinder sterben? Kinder haben so viele Fragen. Einige davon erschrecken uns Erwachsene vielleicht und es ist ganz natürlich, darauf mit dem Impuls zu reagieren, sie davor schützen zu wollen. Und doch gilt es, den beiseite zu schieben, denn es würde bedeuten, Kinder vor der Welt schützen zu wollen, in der wir, in der sie leben.
Man kann nicht alles erklären, aber man kann Ansätze finden, Türen öffnen, Dinge ansprechen und damit letztlich Ängste nehmen. Man darf auch schreiben, dass es auf manche Fragen keine Antworten gibt und es manchmal, wenn man ganz traurig oder gestresst ist, das Beste ist, vorm Einschlafen mit Papa zu kuscheln oder bei der kleinen Schwester unter die Decke zu krabbeln. Krieg, Terror, Krankheiten, Not – diese Themen sind real und existieren um uns herum. Es ist deshalb wichtig, sie Kindern nicht vorzuenthalten. Es ist aber auch wichtig, sie so zu behandeln, dass daraus keine neuen Ängste entstehen, sondern ein gewisses Vertrauen.
Ja, in Syrien herrscht Krieg und das ist beängstigend. Menschen fliehen aus ihrer Heimat und lassen alles zurück. Das können wir nicht ändern, nur beschreiben. Der Erklärungsansatz kann sein, dass es möglich ist, den Kindern, die hierher geflohen sind, zu helfen. Kleider und Spiele auszusortieren und zu einem Flüchtlingsheim zu bringen oder zu dem neuen Mädchen in der Klasse besonders nett zu sein. Ja, wenn Mama immerzu weint, ist das beunruhigend. Aber sie hat eine Krankheit namens Depression. Das ist wie ein gebrochener Knochen in der Seele. Sie ist krank, aber das Kind trägt daran keine Schuld. Sie hat es trotzdem sehr lieb. Sie kann es nur nicht zeigen. Ja, Krebs macht Angst, besonders, wenn er Kinder trifft. Aber man lernt es, damit umzugehen – weil man muss. Und man kann als Familie fest dagegen zusammenhalten.
Ich stelle mir beim Schreiben immer ein konkretes Kind vor, dessen Fragen ich da beantworte. Manchmal ist das mein Neffe, der im echten Leben beispielsweise wissen wollte, wieso nicht alle Menschen einen Organspende-Ausweis haben. Denn wenn sie sterben, ist das zwar traurig, aber dann kann zumindest noch einem anderen Menschen geholfen werden. Daran sieht man, dass Kinder die besten Erklärungen manchmal selbst liefern. Deshalb gehört es unbedingt zum Job als Journalist, immer sehr gut zuzuhören und Dinge behutsam aufzunehmen.
So ging es mir auch mit der Geschichte von Toni. Ihre Mama habe ich kennengelernt, als ich das elfte Schuljahr in den USA verbracht habe. Kurz vor ihrem neunten Geburtstag wurde bei Toni Blutkrebs diagnostiziert. In der Kinderzeitung Kruschel liest sich ihre Geschichte so:
„Kurz bevor Toni Marino neun Jahre alt wurde, stellten die Ärzte bei ihr Leukämie fest. Das war im Oktober 2013 und ein echter Schock für ihre Familie. Zuerst hat die Chemotherapie die kranken Zellen in Tonis Körper zerstört. Aber sie ist leider nicht lange gesund geblieben. Im Sommer 2014 war der Krebs zurück. Da hat ihr kleiner Bruder Kam etwas sehr Heldenhaftes getan: Er hat ihr Stammzellen gespendet! Toni war mutig und hat tapfer gekämpft. Aber sie hat ihre Freunde und die Schule vermisst. Und der blöde Krebs ist einfach immer wieder gekommen… Am 26. Dezember 2016 ist Toni gestorben. Ihre Familie ist darüber sehr traurig und vermisst sie total.
Aber sie sind auch froh und dankbar. Kam sagt: ‚Ich bin sehr froh, dass ich meiner Schwester Toni helfen konnte. Wir durften noch ganz viel gemeinsam erleben, weil ich ihr Spender geworden bin, und daran denke ich oft.‘ Und Kam kuschelt oft mit Hund Smokey, den Toni aus dem Tierheim geholt hat, und der ihn immer an seine Schwester erinnert.“
Natürlich ist es unglaublich traurig, dass Toni sterben musste. Aber in ihrer Geschichte steckt auch sehr viel Hoffnung, weil ihre Krankheit die Familie zusammengeschweißt hat, während viele andere Familien an der Belastung zerbrechen. Diese Hoffnung genauso herauszuarbeiten wie den Kummer, das ist das Wie, über das ich anfangs schrieb. Wenn das gelingt, überfordern wir Kinder als Journalisten nicht, sondern begleiten sie dabei, weiter zu entdecken, dass es auf der Welt nun mal Gut und Böse, Freude und Trauer, Lachen und Tränen gibt.