Im Juli 2003 erhielt Stella die lebensverändernde Diagnose schwere aplastische Anämie. Warum sie eigentlich drei Lebenschancen erhielt und wie die Krankheit sie damals und heute beeinflusste, erzählt sie hier in ihrem Blogbeitrag.
Für viele Menschen ist dies nur eine Zahl: 100.000! Für mich steht diese Zahl exemplarisch für das große, ach was, das größte Geschenk: AM LEBEN ZU SEIN!
Richtig reflektiere ich diese Chance erst seit ein paar Jahren. Ich bin mit zwölf Jahren an schwerer aplastischer Anämie erkrankt und ein Jahr später konnte nur noch eine Stammzelltransplantation mein Leben retten. Bei der schweren aplastischen Anämie produziert der Körper Zellen, wie Leukozyten, Thrombozyten oder rote Blutkörperchen, nicht mehr eigenständig. Als ich damals erfuhr, dass ich mich einer Chemotherapie unterziehen müsste, um meinen Körper auf die erste Stammzelltransplantation vorzubereiten, schossen mir die Tränen in die Augen. Ja, ich war traurig, aber nicht etwa, weil ich dachte, dass ich mein Leben verlieren könnte. Sondern: Weil ich meine schönen weißblonden Haare verlieren würde!
Ich sage übrigens ganz bewusst „erste“ Stammzelltransplantation, da ich – dank der DKMS – quasi die Möglichkeit auf DREI (!) neue Leben bekam. Und das war bei mir auch notwendig, wie sich herausstellte, um heute im hier und jetzt zu sein – als glückliche und sehr dankbare junge Frau.
Nur ein kleiner Rückblick: Aus der Zeit meiner Krankenhausaufenthalte habe ich keine Freunde mehr, alle guten Freunde sind in dieser Zeit leider verstorben. Nur um deutlich zu machen, wie wichtig diese DREI Chancen für mich sind und wie wichtig es ist, sich registrieren zu lassen und der Gesellschaft diese Thematik näher zu bringen. Meine beste Freundin aus dem Krankenhaus kam leider nie zu einer Knochenmarktransplantation, da ihre Krebszellen nie zerstört werden konnten, um dem neuen Knochenmark eine Chance zu geben. Das war nicht einfach für mich damals. Hier ein paar Zeilen, die ich 2008 in Gedanken niedergeschrieben hatte:
Damals habe ich viele Dinge, die um mich passiert sind, nicht so recht wahrgenommen. Heute weiß ich, was ich für ein Glück hatte, dass die DKMS drei passende Spender für mich in der Kartei hatte – und das auch ohne Registrierungsaktion oder Spendenaufruf über Social Media, was es zu jener Zeit noch gar nicht in dem Umfang wie heute gab.
Ich habe mich damals schriftlich bei allen drei Spendern bedankt, aber nur meinem Lebensretter geschrieben, dass ich ihn gerne kennenlernen würde. Die ersten Schritte auf diesem Weg verliefen etwas holprig: Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er mir geantwortet hatte, diese Antwort war aber nie bei mir angekommen. Als ich einige Zeit später, im Sommer 2014, meinen „10. Geburtstag“ feiern wollte, dachte ich mir, dass ich es noch einmal probiere und habe ihm einen weiteren Brief geschrieben. Diesmal funktioniert es! Ich war gerade mit meiner Familie im Sommerurlaub in den USA unterwegs, da erfuhr ich per Email, dass er Kontakt zu mir aufnehmen wollte – dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Im August 2015 haben wir uns dann das erste Mal in seiner Heimat getroffen. Was soll ich sagen, es ist auch heute einfach nicht in Worte zu fassen: Obwohl man sich eigentlich völlig fremd gegenübersteht, ist man sich doch so nah. Es herrschte sofort ein großes Vertrauen, das man einem fremden Menschen normalerweise nicht entgegenbringen würde.
Vor dem Treffen habe ich mir unendlich viele Gedanken gemacht. Wie wird es sein? Was wird passieren? Werden wir uns verstehen? Aber dann war es einfach, als würden wir uns schon lange kennen. Und das ist nicht alles – es gibt so viele „verrückte“ Fakten, die uns verbinden: Er hat am selben Tag Geburtstag wie ich, seine Frau am Tag meiner Transplantation! Und der für mich ergreifendste Teil der Geschichte ist, dass mein Lebensretter ursprünglich im Mai hätte spenden sollen, jedoch krank wurde und den Termin absagen bzw. verschieben musste. Nur deshalb konnte er im August 2004 mein Leben retten…
Ich bin sehr dankbar für die Menschen, die vor und seit meiner Krankheit mein Leben gekreuzt haben. Natürlich waren auch bittere Momente dabei. Freunde haben – im Alter von 12 Jahren – meine Situation nicht verstanden und sich abgewendet, was, im Nachhinein betrachtet, in diesem Alter nicht verwerflich ist, da sie Kinder waren. Nur wer mindestens 14 Jahre alt war, durfte mich im Krankenhaus besuchen. Meine älteste Freundin Vicky, die ich seit dem Kindergarten kenne, ist bis heute immer für mich da. Sie war eine der wenigen Freunde, die auf die Station durften. Nicht gleich, denn als meine schwere aplastische Anämie diagnostiziert wurde, war Vicky erst 13 Jahre alt. Aber im zweiten Jahr, kurz nach ihrem 14. Geburtstag, durfte sie mich endlich sehen. Was für eine Freude! Allerdings musste Vicky sich vorher untersuchen lassen, damit sie keine Bakterien und/oder Keime einschleppte und mich gefährdete.
Als ich 2019 aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt wurde, hatte ich das erste Mal Zeit, wirklich darüber nachzudenken, was ich weiterhin machen möchte und was mir für mein Leben wichtig ist. Da fiel mir wieder ein, dass ich immer den Traum hatte, meine Geschichte auf Papier zu bringen, um anderen zu zeigen, wie lebenswert das Leben ist. Ganz egal, was man erlebt hat.
Im Zuge der Recherche sprach ich das erste Mal mit Vicky darüber, wie sie die Situation damals als Kind empfunden hatte. Sie erzählte mir, dass ihr klar gewesen sei, dass ich krank war, aber nicht, dass es um Leben und Tod ging. Durch das Reflektieren meiner Geschichte entschied ich mich letztes Jahr dazu, doch den Kontakt zu den anderen beiden Spendern zu suchen. Diese hatten ja schließlich keine Schuld daran, dass es damals nicht funktionierte. Sie wollten jedoch genauso – wie der dritte Spender – mein Leben retten.
Meine Mama war in dieser schweren Zeit immer da, ohne sich Zeit für sich zu nehmen, wofür ich sehr dankbar bin, da es nicht selbstverständlich ist. Ich weiß nicht, ob ich heute noch leben würde, wenn sie nicht so viel Zeit bei mir hätte verbringen können und nicht so stark und positiv mir gegenüber gewesen wäre. Mit dem Rückhalt von Familie und Freunden steht und fällt der Kampfgeist des Kindes! Davon bin ich absolut überzeugt.
Umso wichtiger ist es, immer zwei Perspektiven zu betrachten: 1.) Die Welt des Kindes während einer solchen Krankheit, 2.) …und die Welt der Eltern. Ich für mich kann sagen, dass ich als Kind überwiegend positive Erinnerungen sammeln durfte und mich diese Zeit zu dem starken und loyalen Menschen gemacht hat, der ich heute bin!
Zum Glück wird für Kinder auf der Onkologie viel getan, von kleinen Spielen bis zu Laptops oder Playstations ist alles vorhanden. Ich habe mich damals als Stationsälteste für die anderen Kinder verantwortlich gefühlt und den ganzen Tag mit ihnen gespielt, zum Beispiel Geschichten vorgelesen, wenn es mir körperlich und psychisch möglich war – das hat mich zudem abgelenkt. Die Eltern hingegen werden 1.440 Minuten am Tag mit der Diagnose ihres Kindes konfrontiert – ohne die Chance auf ein Entkommen, ein Fliehen! Weglaufen, das gibt es nicht für sie.
Bis vor drei Jahren habe ich weder mit der Familie noch mit Freunden, die damals schon für mich da waren, geredet. Jahrelang kam ich mit meinem neuen Leben noch nicht richtig klar, da ich nicht verstehen konnte, warum ich so etwas erleben so etwas durchmachen musste. Vor der Krankheit war ich Leistungssportlerin und habe mich dadurch im Leben beweisen können – von einem auf den anderen Tag war dieser Teil einfach weg.
Ich weiß noch, wie der Arzt zu mir gesagt hatte, ich könne es doch mit Tischtennis oder Radfahren versuchen. Doch es war für mich unvorstellbar, nie wieder Handball oder Tennis zu spielen. Heute kann ich sagen, dass jemand irgendwo in diesem Universum wusste, dass ich stark genug bin, um diese Steine, um alle Steine aus dem Weg zu räumen. Heute kann ich auch all´ das Positive aus meiner Geschichte ziehen und als starke Persönlichkeit anderen Mut machen.
Mittlerweile hinterfrage ich mein Schicksal nicht mehr, sondern stelle mich allen Herausforderungen, die mir in den Weg kommen. Denn ich weiß: Sie machen mich stärker. Eine der Herausforderungen seit der 3. Transplantation ist eine irreparable Knochenkrankheit. Durch diese sind alle meine Knochen poröser und an meinem rechten Schulterknochen fehlt ein Stück, weshalb ich den Arm nur noch um die 100° heben kann. Was als Rechtshänder im ersten Moment nicht von Vorteil ist. Es wurde zwar eine OP durchgeführt, die jedoch nicht glückte. Durch diese Operation saß ich drei Monate im Rollstuhl und danach lief ich noch sechs Wochen auf Krücken. Nach dieser Zeit musste ich wieder laufen lernen. Wie Ihr Euch vorstellen könnt: Kein leichtes Unterfangen.
Aber: I-c-h h-a-b-e e-s g-e-s-c-h-a-f-f-t! Mein größter Erfolg bis heute ist es, dass ich trotz diesem Handicap 15 Jahre später wieder auf dem Tennisplatz stehe und dieses Jahr als Teil einer Damenmannschaft in der Medenrunde spiele. Hätte mir das jemand im Jahr 2005 nach meiner großen OP gesagt… – ich hätte ihm den Vogel gezeigt. Auch, wenn ich mein Leben immer gut und strukturiert planen möchte, werde ich immer wieder positiv überrascht, was dennoch möglich ist. Das Leben ist so kostbar, dass ich jede Minute mit Freunden und Familie nutze und ich viele Reisen unternehme. Man lebt schließlich nur einmal.
Jahrelang habe ich eine Möglichkeit gesucht, etwas zurückzugeben. Seit 2019 bin ich Stammzellkurierin und darf persönlich Stammzellen beim Blutspendedienst abholen und direkt ins Krankenhaus zum Patienten transportieren. Es ist unbeschreiblich, diesen Prozess selbst zu erleben. Teilweise werde ich im Krankenhaus gefeiert, als wäre ich die Spenderin und Lebensretterin. Das ist jedoch nur der Anfang meiner Möglichkeiten zu helfen.
Letztes Jahr stieß ich auf eine tolle Kampagne, „Cancel Cancer“, bei der es darum geht, betroffene Familien auch digital in diesen Zeiten zusammen zu bringen, für einen einfachen Austausch zu sorgen und die Gesellschaft über die tatsächlich schlechte Forschung von Krebs in der Kindheit aufzuklären. Bei einem Onlineevent habe ich bewegende Geschichten bzw. die Menschen dahinter kennenlernen dürfen. Und auch ich durfte meine Geschichte erzählen. Ich war richtig aufgeregt, da ich das erste Mal fremden Menschen von mir erzählt habe. Aber es war einfach wunderschön zu sehen, wie die Menschen auf meine positive Lebenseinstellung reagiert haben.
Durch dieses Event lernte ich „Fruchtalarm“ kennen. Dieses Projekt ermöglicht, dass auf vielen verschiedenen Kinderkrebsstationen in ganz Deutschland Cocktails mit den erkrankten Kindern gemixt werden. Bald werde auch ich ein Teil des Teams sein, worauf ich mich schon sehr freue, denn dies wird auch auf meiner alten Station in Mainz angeboten.
Jedes Mal, wenn ich nur etwas Kleines für krebskranke Kinder tun oder Aufmerksamkeit für die Knochenmarksspende wecken kann, fühlt es sich für mich an, als würde ich Berge versetzen. Mich hat diese Zeit insofern geprägt, als dass ich keine Zeit mehr verschwende, um mich zu ärgern, Negatives zu denken oder um den heißen Brei herum zu reden. Ich mache das, was mir Spaß macht und probiere Neues aus. Denn wenn man sich nie auf etwas Neues einlässt, wird man nie erfahren, wie es gewesen wäre. Und genau diese Erfahrungen, vor denen man Respekt hat, bringen einen weiter und stärken die Persönlichkeit. Denn wenn ich etwas gelernt habe, dann das: Das Leben kann jede Minute zu Ende sein.