Anika liegt der Kampf gegen Blutkrebs besonders am Herzen. Die 25-Jährige schenkte 2017 mit ihrer Spende einem damals sechs Monate alten Mädchen eine zweite Lebenschance. 2019 lernte sie die Kleine und ihre Eltern endlich persönlich kennen und es verbindet sie seither eine herzliche Freundschaft.
Ein Brief von der DKMS veränderte im Jahr 2017 das Leben von Anika Liersch nachhaltig. „In dem Moment als ich las, dass ich als Spenderin in Frage komme, habe ich mich sehr gefreut und war aufgeregt. Die Vorstellung, dass ich eine Chance auf Leben geben kann, war großartig“, erinnert sich die junge Frau, die mittlerweile in Herten lebt. Dem ersten Schreiben folgten Voruntersuchungen sowie ein umfassender medizinischer Check und im Dezember 2017 war es soweit: Anika spendete Knochenmark, neben der peripheren Stammzellspende (Apherese), das zweite mögliche Verfahren, das bei der Stammzellentnahme zum Einsatz kommt.
Dieses Verfahren findet heute in rund 20 Prozent der Fälle statt und es werden dem Spender dabei unter Vollnarkose mit einer Punktionsnadel ca. ein Liter Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenkamm entnommen. Darin befinden sich rund fünf Prozent des Gesamtknochenmarks, das sich innerhalb von etwa zwei Wochen wieder vollständig im Körper regeneriert. Für die Entnahme genügen in der Regel zwei kleine Einschnitte im Bereich des hinteren Beckenknochens. Das Risiko beschränkt sich im Wesentlichen auf die Narkose. „Ich hatte eine ganz liebe Zimmernachbarin, mit der ich mich sehr gut verstand. Wir haben fast die ganze Nacht vor der Spende wach gelegen und darüber philosophiert, wie es unseren Stammzellempfängern wohl geht und wie glücklich sie sind, dass es einen Spender gibt. Es war sehr schwer für uns zu begreifen, dass so etwas überhaupt möglich ist und es unsere genetischen Zwillinge gibt“, sagt sie.
Nach der Spende erfuhr Anika, dass die Spende an ein Baby in Deutschland gegangen ist – für sie ein bewegender Moment und es entstand der Wunsch nach einer Kontaktaufnahme, doch wollte sie erst einmal der Familie Zeit geben. „Ich dachte mir, dass sie viel durchmachen müssen. Ein Jahr später kam dann der erste Brief, der aus der Sicht von Hannah geschrieben war. Ich war überglücklich zu wissen, dass Hannah lebt und es ihr gut geht – obwohl ich da natürlich noch nicht wusste, dass sie Hannah heißt.“ Und weiter: „Der Brief begann mit den Worten ‚Liebe Blutsschwester‘. Ich habe sofort vor Freude geweint – ebenso wie meine gesamte Familie und alle Freunde als sie den Brief lasen. Zum Ende des Briefes stand geschrieben, dass wir nun eine Familie seien und dieses Gefühl konnte ich sofort teilen. Der nächste, entscheidende Schritt war der Austausch unserer Kontaktdaten.“
Ein direkter, persönlicher Kontakt zwischen Spender und Patient ist in Deutschland frühestens zwei Jahre nach einer Stammzelltransplantation möglich, in einigen Ländern beträgt diese sogenannte „Anonymitätsfrist“ fünf Jahre. Manche Länder, beispielsweise die Schweiz, lassen gar keinen direkten Kontakt zu. „Am 19.12.2019 bekam ich eine Whatsapp Nachricht von einer unbekannten Nummer mit einem Video, in dem Hannah fröhlich am Strand entlangläuft. Darunter stand: „Danke für alles <3 Deine Hannah“. Die Tränen sind mir sofort über das Gesicht geströmt. Die Nachricht kam von ihrer Mutter Julia, mit der ich danach den ganzen Abend über geschrieben habe. Wir haben Fotos hin und her geschickt und somit einen Eindruck voneinander bekommen. Es war alles sehr vertraut und hat sich einfach gut angefühlt.“
Das erste Treffen fand kurz darauf an Silvester 2019 statt. „Ich hätte mir keinen besseren Zeitpunkt vorstellen können. So konnten wir gemeinsam ins neue Jahr starten. Hannah und ich sind uns von der ersten Sekunde an sehr verbunden gewesen. Es ist so, als würden wir uns schon immer kennen. Den ganzen Abend über kam Hannah immer wieder zu mir auf den Schoß und spielte mit mir. Ich habe mit Hannah an dem Abend in ihrem Zimmer noch Bücher angeschaut. Sie ist in meinen Armen eingeschlafen und ich habe sie ins Bett gelegt. Ihre Eltern, mein Freund und ich saßen noch bis drei Uhr nachts zusammen und wir können sagen, dass wir wirklich eine Familie sind. So wie es Julia schon im ersten Brief schrieb.“
Seither ist der Kontakt noch herzlicher und enger geworden – fast täglich schreibt sie mit der der Mutter der Kleinen und ist auf dem Laufenden, was sie macht und wie es ihr geht. „Mein Freund sagt jedes Mal, wenn ich wieder Fotos oder Videos von Hannah bekomme: ‚Ist dir eigentlich bewusst, dass es dieses kleine Wesen auf dieser Welt nicht mehr geben würde, wenn du nicht gewesen wärst?“ Ehrlich gesagt ist „bewusst“ das falsche Wort, denn das ist es mir nicht. Aber ich weiß, dass ich mit der Registrierung bei der DKMS und der Spende alles richtiggemacht habe. Es ist eine Bereicherung für mein Leben, die über allem steht und mich unglaublich stolz macht.“