Was genau bei neu registrierten Stammzellspender:innen analysiert wird und welchen Nutzen Patient:innen davon haben – das erzählt Vinzenz Lange vom DKMS Life Science Lab im Interview.
Dr. Vinzenz Lange hat 2012 die Einführung einer bahnbrechenden neuen Methode zur Charakterisierung der Spenderproben geleitet, die es heute dem Labor ermöglicht, pro Jahr mehr als eine Million Spenderproben zu charakterisieren. Mit seinen Teams arbeitet er als Geschäftsführer daran, die aktuellsten technischen Errungenschaften für eine noch bessere oder kostengünstigere Charakterisierung der Proben nutzbar zu machen.
Wenn ich mich als Spender:in registrieren lasse und mein Registrierungsset im Labor ankommt, wie geht es danach weiter?
Zuerst werden im Labor die HLA-Merkmale, man sagt auch Gewebemerkmale, von jeder neuen Spenderin und jedem neuen Spender bestimmt. Dies ist ein recht aufwändiges Verfahren, das rund drei Wochen in Anspruch nimmt. Sobald die Labordaten vorliegen, übermitteln wir sie an die DKMS.
Was genau wird denn im Labor analysiert?
Allgemein gilt: Derzeit gleicht man meist mindestens fünf HLA-Gene ab. Denn für eine erfolgreiche Stammzelltransplantation ist vor allem eine gute Übereinstimmung dieser HLA-Gene von Spender:innen und Empfänger:innen Voraussetzung. Selbst bei einer Übereinstimmung von fünf HLA-Genen kommt es leider noch häufig zu Abstoßungsreaktionen oder anderen Komplikationen nach der Transplantation. Daher wird beständig daran geforscht, weitere Faktoren zu identifizieren, die sich positiv auf die Transplantation auswirken. Deshalb typisieren wir bei der DKMS inzwischen sogar bis zu zwölf HLA-Gene hochaufgelöst und verschiedene weitere Faktoren.
Welches sind denn diese zu typisierenden HLA-Gene?
Die fünf für eine Spendersuche regelmäßig verwendeten HLA-Gene heißen HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-DRB1 und HLA-DQB1. Zusätzlich charakterisieren wir HLA-DRB3, HLA-DRB4, HLA-DRB5, HLA-DQA1, HLA-DPA1, HLA-DPB1 und bei wenigen Proben HLA-E. Jedes dieser Gene liegt in doppelter Ausführung vor – jeweils eines stammt von der Mutter und eines vom Vater. Somit charakterisieren wir insgesamt bis zu zwölf Gen-Orte und damit 24 Allele, die auch als HLA-Gewebemerkmale bezeichnet werden.
Sie sprachen von weiteren Faktoren, die bei neuen potenziellen Stammzellspender:innen analysiert werden. Welche sind das?
Zusätzlich zu den HLA-Genen charakterisieren wir die Blutgruppen AB0, den Rhesusfaktor und das CCR5 Rezeptorprotein. Außerdem bestimmen wir über einen Antikörpernachweis den Cytomegalievirus (CMV)-Status. Bei etwa zehn Prozent der Typisierungen werden ergänzend noch MICA, MICB und die Familie der KIR-Rezeptoren bestimmt. Um herauszufinden, welche dieser Faktoren befundet wurden, können Spender:innen bei Bedarf ihre Befunde bei der DKMS anfordern.
Und warum werden diese zusätzlichen Faktoren bestimmt? Haben sie für die Spenderauswahl eine Relevanz?
Im glücklichen Fall, dass mehrere Spender:innen für eine Patientin oder einen Patienten infrage kommen, werden neben den HLA-Merkmalen weitere Faktoren zur Auswahl des Spenders herangezogen. Derzeit sind dies im Allgemeinen das Alter und das Geschlecht des Spendenden, die AB0 Blutgruppe und der CMV-Status. Für diese Faktoren gibt es relativ gesicherte wissenschaftliche Belege, dass eine Berücksichtigung bei der Spenderauswahl die Überlebensrate positiv beeinflusst. CMV zum Beispiel ist ein weltweit verbreitetes Virus aus der Familie der Herpesviren. Der Ausbruch einer CMV-Infektion nach einer Transplantation kann bei Patient:innen zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Daher wird bei der Spenderauswahl darauf geachtet, dass der CMV Status von Spender:in und Empfänger:in übereinstimmen.
Warum werden neben diesen Faktoren weitere Gene charakterisiert?
Neben den Faktoren, für die es gesicherte wissenschaftliche Belege gibt, charakterisieren wir weitere Merkmale, von denen wir aufgrund der wissenschaftlichen Literatur vermuten, dass sie in Zukunft für die Spenderauswahl hilfreich sein könnten. Der Hintergrund ist, dass es leider auch bei Berücksichtigung aller klar belegter Auswahlkriterien oftmals zu Komplikationen nach einer Stammzelltransplantation kommt. Ärzte und Wissenschaftler auf der ganzen Welt versuchen daher weitere Faktoren zu identifizieren, welche zu verbesserten Überlebensraten nach einer Transplantation beitragen. Dabei dauert es in der Regel viele Jahre von den ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen, der Bestätigung durch unabhängige Gruppen, bis zu einer schrittweisen Übernahme in die klinische Praxis. Wir bei der DKMS versuchen diesen Prozess zum Wohl der Patient:innen zu unterstützen und zu beschleunigen. Indem wir frühzeitig Forschungsergebnisse aufgreifen und weitere Faktoren bei den potenziellen Spender:innen bestimmen, unterstützen wir Studien und beschleunigen eine Übernahme in die klinische Praxis, sobald sich die wissenschaftliche Datenlage verfestigt hat.
Gibt es Vorteile, die die DKMS dadurch hat?
Unser Anliegen ist es, für die Patient:innen noch besser passende Spender:innen zur Verfügung stellen zu können. Uns kommt aus zwei Gründen eine Schlüsselrolle zu: Fast die Hälfte aller weltweit jährlich neu registrierten potenziellen Spender:innen werden durch die DKMS mit ihren sieben internationalen Standorten aufgenommen. Dadurch können wir nach Aufnahme eines neuen Typisierungsfaktors in das Spenderprofil innerhalb weniger Jahre eine wirklich relevante Anzahl an Spender:innen bereitstellen, so dass der neue Faktor für die Spenderauswahl auch sinnvoll genutzt werden kann.
Zum anderen ist das DKMS Life Science Lab weltweit führend in der HLA-Typisierung und verwendet die neuesten Technologien. Durch die Verwendung von Next Generation Sequencing (NGS) können zusätzliche Parameter charakterisiert werden, ohne dass dies die Kosten wesentlich erhöht.
Und wie schnell stehen dann meine HLA-Merkmale für die Suche zur Verfügung?
In der Regel liegen die endgültigen Laborergebnisse nach rund vier Wochen vor. In Ausnahmefällen kann es bis zu zehn Wochen dauern, bis alle Analysen abgeschlossen sind. Sobald dann die Labordaten, die Einwilligungserklärung sowie die Adressdaten der neuen Spenderin oder des neuen Spenders zusammengeführt sind und vollständig im System der DKMS vorliegen, steht man dem weltweiten Suchlauf für Patient:innen zur Verfügung.
Warum dauert die Auswertung „so lange“?
Zur Typisierung von Gewebemerkmalen werden sehr aufwändige Analyseverfahren angewandt, die nicht mit denen einer einfachen Blutbild-Erstellung bei Hausärzt:innen zu vergleichen sind. Es geht bei der Typisierung nicht um Infektionsmarker, die jedes Labor bestimmen könnte, sondern um die genaue Bestimmung von HLA-Merkmalen auf bestimmten Gen-Orten durch DNA-Sequenzierung. Um die Spendengelder möglichst effektiv im Kampf gegen Blutkrebs einzusetzen, hat das Labor deshalb ein äußerst kosteneffizientes Verfahren entwickelt, mit dem es pro Woche etwa 30.000 Proben bearbeiten kann. Die optimale Auslastung der Prozesse reduziert die Bearbeitungskosten erheblich, bedingt allerdings eine etwas längere Bearbeitungszeit. Bei der Typisierung von neu registrierten Freiwilligen ist für die Patient:innen die Bearbeitungszeit nicht so wichtig, sondern, dass wir möglichst viele potenzielle Spender:innen charakterisieren können.
Und wenn es schneller gehen muss?
Für eilige Patientenproben kann das Labor, mit auf Geschwindigkeit optimierten Prozessen, viel schnellere Ergebnisse liefern – allerdings zu erheblich höheren Kosten. Diese auf Geschwindigkeit optimierten Prozesse werden für alle Untersuchungen verwendet, bei denen es für das Patientenwohl hilfreich ist, zum Beispiel für die Typisierung von Patienten oder deren Familienangehörigen.